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Reisepionierin SacagaweaSie half, den Wilden Westen zu erschliessen

Sie weist den Weg: Sacagawea mit den Expeditionsleitern Lewis and Clark bei den Three Forks im heutigen Montana.

Endlich ist der Pazifik in Reichweite. Nach Tausenden Kilometern, die sie zu Fuss, zu Pferd, im Kanu zurückgelegt hat, mit ihrem Säugling auf dem Rücken. Und nun sollte sie nicht mitkommen dürfen mit der kleinen Gruppe, die den gestrandeten Wal sucht? Sacagawea, die junge Frau aus dem Volk der Schoschonen, besteht darauf, dabei zu sein.

«Sie wies darauf hin, dass sie einen langen Weg mit uns zurückgelegt hatte, um das grosse Wasser zu sehen, und nun, da dieser monströse Fisch zu sehen sei, sei es sehr schwer, dass es ihr nicht erlaubt sein solle, beides zu sehen. (Sie war noch nie am Ozean.)» So notiert es Captain William Clark am 6. Januar 1806 in Fort Clatsop, im heutigen Oregon nahe der Mündung des Columbia River in den Pazifik, in seinem Tagebuch.

Ob Sacagawea dann wirklich den grossen Fisch sehen darf, das notiert der Captain nicht. Überhaupt ist alles, was man von Sacagawea weiss, von weissen Männern aufgeschrieben worden. So auch, dass die junge Frau mit der von Clark geführten Expedition über die Rocky Mountains im folgenden Frühjahr heil zurückkehrt in den Mittelwesten.

Das allein ist eine Leistung zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Doch Sacagawea erlangt damit nicht nur den Status einer unerschrockenen Reisenden – sie wird mit der Zeit ein amerikanischer Mythos.

Hochschwanger auf Expedition

Den Aufstieg zur Symbolfigur verdankt die indigene Frau wohl auch dem Ruhm der Jahrhundertexpedition von Lewis und Clark, an der sie teilnimmt. Die Reise markiert einen historischen Meilenstein in der Entwicklung der noch jungen Vereinigten Staaten.

1803 nämlich gelingt es den USA, dem napoleonischen Frankreich dessen Kolonialgebiet westlich des Mississippi abzukaufen; für überschaubare 15 Millionen Dollar verdoppeln sie mit dem Louisiana Purchase ihr Staatsgebiet. Es ist eine der grössten Landtransaktionen der Geschichte. Der Handel wird ohne Rücksicht auf die indigenen Stämme, die das Land bevölkern, geschlossen. Und de facto wissen die Amerikaner reichlich wenig über ihre Neuerwerbung, die bis hinüber zu den Rocky Mountains und hinauf nach Montana reicht.

Second Lieutenant William Clark und Captain Meriwether Lewis waren von Präsident Thomas Jefferson beauftragt worden, einen Wasserweg zum Pazifik zu suchen.

Deshalb schickt Präsident Thomas Jefferson eine Armeeexpedition los, geführt von seinem einstigen Privatsekretär Meriwether Lewis und von William Clark, Captain der Armee. Die beiden erhalten den Auftrag, einen Wasserweg zum Pazifik zu suchen, das Land zu erkunden und friedliche Beziehungen zu den Indigenen aufzubauen. Natürlich auch mit Blick auf wirtschaftliche Vorteile wie Pelzhandel und Siedlungsmöglichkeiten.

Letztlich trägt also ausgerechnet die Schoschonen-Frau Sacagawea, ohne sich dessen bewusst zu sein, zur Erschliessung des Westens bei, und damit tragischerweise zum Verschwinden indigener Lebensweise.

Unter anderem um das Vertrauen der lokalen Indianerstämme zu gewinnen, war Sacagawea für die Expeditionsgruppe Gold wert.

Zunächst ist Sacagawea nicht mit von der Partie, als Lewis und Clark mit ihrer zusammengewürfelten Gruppe von Camp Dubois am 14. Mai 1804 aufbrechen. Mit eigens gebauten Pirogen – einer Art fortentwickelter Einbaum – geht es den Missouri River hinauf ins heutige North Dakota, wo sie den Winter 1804/05 verbringen.

Dort begegnen sie Sacagawea. Am 4. November 1804 notiert Clark in seinem Tagebuch, dass sich der kanadische Fallensteller Toussaint Charbonneau als Begleiter angeboten habe und dass beschlossen wurde, ihn und seine «Snake Squaw» als Übersetzer zu engagieren. Als Snake, Schlangenvolk, bezeichneten sich manche Schoschonen-Stämme.

Der Fallensteller Charbonneau hat den Tagebucheinträgen zufolge mehrere Frauen – oder Sklavinnen –, die Bezeichnungen wechseln. Überliefert ist, dass Sacagawea als Mädchen von den Hidatsa, einem Sioux-Volk, entführt und später an Charbonneau verkauft wurde. In diesem November ist die etwa 16- oder 17-Jährige schwanger.

Wenig später, am 11. Februar 1805, berichtet Lewis in seinem Tagebuch, dass Sacagawea einen schönen Sohn geboren habe und dass die Geburt schwer gewesen sei. Er notiert auch, dass einer der Expeditionsteilnehmer empfohlen habe, der Gebärenden ein Gebräu aus zerriebenen Klapperschlangenrasseln zu geben – so wie es die Einheimischen tun. Lewis hat zufällig solche Rasseln dabei; und tatsächlich geht die Geburt voran.

«Wenn sie genug zu essen hat und ein paar Schmuckstücke, dann glaube ich, wäre sie überall absolut zufrieden.»

Meriwether Lewis

Keine zwei Monate später bricht die Expedition auf zu ihrem schwierigsten Unterfangen – der Überquerung der Rocky Mountains: 31 Männer, dazu Sacagawea und der kleine Jean-Baptiste.

Dass eine Frau dabei ist, war nicht vorgesehen. Noch 1803 schreibt Lewis an Clark, dass nur unverheiratete Männer als Teilnehmer infrage kommen. Was zu jener Zeit vernünftig erscheint angesichts der Gefahren, die der Weg birgt: Die Route ist unbekannt, man weiss nicht, wie die indigenen Stämme auf das Erscheinen einer Gruppe weisser Fremder reagieren werden (ausser Sacagawea ist nur noch der dunkelhäutige Diener York dabei), Bären und Pumas lauern in den Bergen.

Übersetzerin und Bindeglied zu ihrem Stamm

Lewis und Clark brauchen Jäger, Pfadfinder, Handwerker. Und doch wird Sacagawea explizit engagiert, offiziell als Übersetzerin, vermutlich aber vor allem als Bindeglied zu ihrem Stamm, dessen Gebiet – im heutigen Montana und Idaho – an einer Schlüsselstelle liegt: Dort, wo die Quellflüsse des Missouri liegen und das unwegsame Stück durch die Rocky Mountains beginnt. Dort, wo sie auf Pferde und Hilfe angewiesen sind.

Sacagawea wird als vollwertiges Mitglied der Expedition behandelt. Als sie im Juni 1805 schwer erkrankt, notiert Lewis laufend in seinem Tagebuch, wie sich ihr Gesundheitszustand verändert und ob er ihr gerade Tee oder Vitriol oder Grog einflösst.

Als Charbonneau zulässt, dass die frisch Genesene zu viel rohes Obst isst, wird der Expeditionsleiter wütend. Überhaupt scheint Charbonneau sich nicht gerade den Respekt von Lewis und Clark zu verdienen. Er gibt wichtige Informationen nicht weiter und plant, noch vor der Überquerung der Berge umzukehren, ein Boot kentert fast unter seinem Kommando, und einmal schlägt er sogar seine Frau, was ihm einen heftigen Verweis einbringt.

Späte Ehre: Sacagawea, verewigt auf einer Dollarmünze aus dem Jahr 2000.

Die junge Frau hingegen ist gemäss Lewis eine problemlose Zeitgenossin: «Wenn sie genug zu essen hat und ein paar Schmuckstücke, dann glaube ich, wäre sie überall absolut zufrieden.»

Sacagawea spielt am Fusse der Rocky Mountains erstmals eine wichtige Rolle. «Wir wollten nun so bald wie möglich die Snake-Indianer treffen, um Information über das Land und Pferde zu bekommen», schreibt Lewis am 18. Juli 1805.

Die Erleichterung ist dementsprechend gross, als Sacagawea vier Tage später die Gegend um die heutigen Three Forks als das Land ihrer Kindheit erkennt, dort, wo die drei Quellflüsse des Missouri aufeinandertreffen – die Lewis und Clark umgehend nach den US-Politikern Jefferson, Madison und Gallatin benennen. «Die Indianerfrau versichert uns, dass dies der Fluss ist, an dem ihre Verwandten leben (...) Diese Information hebt die Laune der Gruppe, die sich nun damit tröstet, dass sie bald den Quellfluss des Missouri sehen werden, der der zivilisierten Welt noch unbekannt ist.» (Lewis, 22. Juli 1805)

«Wir stellen fest, dass die Frau alle Indianer von unseren friedlichen Absichten überzeugt, denn eine Frau in einer Gruppe von Männern ist ein Friedenspfand.»

Meriwether Lewis

In den Aufzeichnungen der folgenden Tage ist viel über Sacagawea zu lesen – und es wird klar, dass der Ausgang der Expedition von ihrer Verbindung zu den Schoschonen abhängt. «Ohne Pferde werden wir einen Grossteil unserer Vorräte zurücklassen müssen, von denen wir ohnehin schon zu wenig haben.»

Und endlich können auch die Expeditionsleiter zufrieden sein. Kurz nachdem Lewis geschrieben hat, dass er so lange suchen werde, bis er einen Stamm finde, der Pferde zur Verfügung stellen könne, treffen die Männer auf die Schoschonen, und der Häuptling Cameahwait entpuppt sich als Bruder Sacagaweas. «Das Treffen dieser Leute war wirklich bewegend, besonders zwischen Sacagawea und einer Indianerfrau, die zur selben Zeit wie sie gefangen genommen worden war, die aber entkommen und zu ihrem Volk zurückkehren konnte.» (Lewis, 17. August 1805)

Das Kalkül von Lewis und Clark geht auf. Die Schoschonen stellen Führer und Pferde. Aber Sacagawea hat noch einen Wert, den sie anfangs nicht einberechnet hatten: Sie erspart ihnen allein durch ihre Präsenz im weiteren Verlauf der Reise allerhand Schwierigkeiten, wie Clark am 19. Oktober 1805 notiert: Als einige Expeditionsteilnehmer auf dem Columbia Plateau Lodges sichten, verstecken sich die Indigenen ängstlich vor den bewaffneten Weissen.

Erst als Lewis mit Sacagawea eintrifft, scheinen diese aus ihrer Erstarrung zu erwachen, «denn hier begleitet niemals eine Frau Indianer auf dem Kriegspfad». «Wir stellen fest, dass die Frau alle Indianer von unseren friedlichen Absichten überzeugt, denn eine Frau in einer Gruppe von Männern ist ein Friedenspfand.»

Die Frau öffnet Türen, mehr als all die Medaillen, Glasperlen und Werkzeuge, mit denen sich die Expedition die gesamte Reise über Frieden erkauft. Oder die sie gegen Nahrungsmittel, Pferde und Hunde eintauschen – welche dann gegessen werden.

Plötzlich eine Ikone der Gleichberechtigung

Nur einmal zeigen sich die Expeditionsleiter alles andere als freundlich gegenüber ihrer Begleiterin: Da sind sie schon am Pazifik und wollen von einem Chinook-Häuptling einen prächtigen Mantel aus Seeotterfell erwerben. Den aber bekommen sie nur im Tausch gegen Sacagaweas blauen Perlengürtel. Ansonsten ist gerade in diesen Wochen die Stimmung prächtig – angesichts des Ozeans, dessen Anblick die Expedition so lange herbeigesehnt hat. «Grosse Freude im Lager», schreibt Clark am 7. November 1805.

Auf auf Stickereien wurden die Exkursion von Sacagawea und ihren Begleitern verewigt.

Fast vier Monate überwintern die Reisenden in Fort Clatsop, bevor sie sich Ende März 1806 auf den Rückweg machen. Ein weiteres Mal leistet Sacagawea einen Dienst – als sie einem Teil der Gruppe den Weg über den Bozeman Pass zum Yellowstone River weist, im Juli 1806. Der Abschied von ihr liest sich nüchtern: Am 17. August 1806 nimmt Captain Clark Abschied von Charbonneau, dessen «Snake Squaw» und dem Kind.

Die Geschichte könnte hier zu Ende sein, ist es aber nicht. Clark bietet kurz darauf an, den kleinen «Pomp» zu sich zu nehmen und aufzuziehen. Tatsächlich wird Jean-Baptiste 1809 in St. Louis getauft, und wahrscheinlich bleibt er bis 1820 unter Clarks Obhut. Später tritt er in die Fussstapfen seiner Eltern als Guide und Fallensteller. Fünf Jahre lang lebt er auch in Deutschland bei Herzog Paul Wilhelm von Württemberg, den er 1823 am Kansas River kennen gelernt hat.

Sacagawea selbst stirbt am 12. Dezember 1812 mit etwa 25 Jahren in Fort Manuel an Typhus. John Luttig, Sekretär von Manuel Lisa, schreibt: «Sie war eine gute und die beste Frau im Fort, etwa 25 Jahre alt, sie hinterliess ein hübsches kleines Mädchen.»

Viele Jahre blieb Sacagawea vergessen – bevor man sich anlässlich des 100. Jahrestages der Expedition an sie erinnerte. Eine zentrale Rolle spielt dabei die Schriftstellerin und Vorkämpferin des Frauenwahlrechts, Eva Emery Dye. Sie zeichnete Sacagawea 1902 in ihrem Buch «The Conquest: The True Story of Lewis and Clark» als unersetzliche Pfadfinderin der Expedition und nutzte diesen von ihr geschaffenen Mythos, um die Sache des Frauenwahlrechts voranzubringen.

100 Jahre nach ihrem Tod wurde Sacagawea zur Ikone. In Three Forks, Montana wurde sie mit einer Statue geehrt.

Die junge Indianerin mutierte damit fast 100 Jahre nach ihrem Tod zur Ikone der Gleichberechtigung, zum strahlenden Beispiel amerikanischer Integrationskraft. Der Umstand, dass die Expedition unwissentlich das Ende der freien indigenen Lebensweise einläutete, spielt in all den Geschichten über Sacagawea kaum eine Rolle. Und so wurden ironischerweise einer Angehörigen der von den Weissen vertriebenen Stämme mehr Statuen errichtet als jeder anderen Frau in den USA.