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Lesende fragen Peter SchneiderDarf man altbackene Rollenmodelle bei anderen hinterfragen?

Der Final eines nationalen Backwettbewerbs in Bern im Jahr 1956.

Über folgende Frage haben wir uns in der Mittagspause unterhalten: Darf ich glückliche Paare kritisieren, bei denen die (der) eine der Erwerbstätigkeit fernbleibt und von der Arbeit der (des) anderen lebt? Mich würde Ihre Sicht interessieren. D.R.

Lieber Herr R.

Nein. Wenn man nicht ausdrücklich danach gefragt wird, wie man es findet, wie es Paare mit der Aufteilung der Erwerbstätigkeit halten, geht es einen nichts an. Ja. Denn der weitverbreitete Verzicht auf finanzielle Autonomie kann sich z.B. im Fall einer Scheidung bitter rächen. Je nachdem, ob Sie die Angelegenheit als Einzelfall oder als statistisches Phänomen betrachten, fällt die Antwort anders aus.

Oder anders formuliert: Was statistisch relevant ist, muss es nicht im einzelnen Fall sein; und ein statistischer Ausreisser ist kein Gegenargument. Allerdings ist die Vermischung beider Gesichtspunkte mit dem vorhersehbaren Satzsieg des Einzelfalls ein beliebtes Spiel: «Ich habe mich entschieden, ganz für meine Kinder und meinen Mann da zu sein. Und nun wollen Sie mir absprechen, eine emanzipierte Frau zu sein. Sie sprechen mir meine Mündigkeit ab! Unverschämtheit! Jede:r soll doch selber entscheiden dürfen.» Was soll man dagegen einwenden?

Oder: «Ich habe meine Frau nicht gezwungen, nicht zu arbeiten. Das war ganz allein ihre eigene Entscheidung. Wollen Sie ausserdem sagen, Hausfrauen arbeiteten eigentlich gar nicht?» Conclusio: Eigentlich sind die Feministinnen die schlimmsten Feindinnen der Emanzipation von Zwängen, in diesem Fall vom Zwang, erwerbstätig sein zu müssen, wie es der links-urban-elitäre Mainstream fordert.

Sich mit Kommentaren zur Lebensform von anderen Menschen sehr zurückzuhalten, bedeutet nicht, die Augen vor Wahrscheinlichkeiten zu verschliessen.

Um noch einmal auf Ihre Frage zurückzukommen: Sich mit Kommentaren zur Lebensform von anderen Menschen sehr zurückzuhalten, bedeutet nicht, die Augen vor Wahrscheinlichkeiten zu verschliessen. Die Chancen für eine nicht erwerbstätige Frau, nach einer Scheidung «halt Pech» gehabt zu haben, stehen gut. (Einwand: Aber es gibt doch auch Hausmänner. Entgegnung: Siehe oben.) Es ist leichter, eine bestehende zwanzigjährige Karriere fortzusetzen, als nach zwanzig Jahren Nichterwerbstätigkeit an das Berufsleben wieder anzuknüpfen. Eigenes Geld (erworben oder geerbt) verleiht Selbstständigkeit. («Also bei uns ist das anders. Mein Mann hat mir bei Anschaffungen immer freie Hand gelassen.» Schon gut.)

Erwerbstätigkeit schafft eine Verbindung mit der Welt und soziale Anerkennung. (Test: Fragen Sie eine Arbeitslose. Es ist ja nicht so, dass die keine Hausarbeit zu leisten hat.) – Apropos Statistik und Einzelfall: Meine Mutter hat ihr Leben lang geraucht und ist nur 64 Jahre alt geworden. Mein Vater hat passiv mitgeraucht und ist kürzlich 90 geworden. Daran erkennt man ... was?

Der Psychoanalytiker Peter Schneider beantwortet Fragen zur Philosophie des Alltagslebens. Senden Sie uns Ihre Fragen an gesellschaft@tamedia.ch.