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Traumhaftes Elba zu Füssen

Auf und Ab gehts quer durch Elba: Abstieg vom Monte Grosso. Foto: Daniel Schneebeli

Haben Sie sich auch schon gewünscht, den ganzen Alltags­bettel hinzuschmeissen und auf eine lange Reise zu verschwinden? Wenn ja, sollten Sie weiterlesen. Es wird hier zwar keine lange Reise beschrieben, aber eine, die lange in Erinnerung bleibt. Sie führt nach Elba, zur Mittelmeerinsel, auf die Napoleon vor gut 200 Jahren ins Exil geflohen war und die auf der Landkarte aussieht wie ein Wal, der von der Toskana hin­über nach Korsika schwimmt.

Auf Elba gibt es einen Wanderweg, der vom östlichsten Ende an der oberen Heckflosse bis zum Maul des Wals ganz an die Westspitze führt. Er ist knapp 60 Kilometer lang und überwindet 2000 Höhenmeter. Grösstenteils schlängelt er sich auf abgelegenen Höhenzügen durch Nationalparkgebiet, und er ist in drei oder vier Tagesetappen gut zu bewältigen. Die Inselbewohner nennen ihn die Grande Traversata Elbana.

Die GTE wird selten begangen und war an vielen Stellen bis vor kurzem schwer zu finden. Verwaschene Zeichen, beschädigte Wegweiser, halb zerfallene Steinmännchen. Und auch die Streckenführung war nicht zuverlässig. So endete die GTE südlich von Portoferraio abrupt an einer 50 Meter hohen Klippe bei einem riesigen Steinbruch, den die Elbaner hier ohne Rücksicht auf die GTE gegraben hatten.

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Seit dem Frühling ist die GTE wieder ein Fernwanderweg, der diesen Namen verdient. Zu verdanken hat sie dies einem ehe­maligen Beamten der Guardia di Finanza aus Varese, den es vor vielen Jahren nach Elba verschlagen hatte und der nicht mehr von der «Isola meravigliosa» loskam: Michele Cervellino. Der naturverbundene Polizist ist am liebsten im Hinterland unterwegs, in den duftenden Kräutern und den blühenden Stauden.

Um sein Glück auch Besucherinnen und Besuchern zugänglich zu machen, hat er im letzten Herbst und Winter die GTE ganz neu ausgeschildert. Die Nationalparkverwaltung hat Plaketten und Wegweiser zur Verfügung gestellt. Am Wegesrand befestigt hat sie Michele aber selber. «Die haben mir einen Helikopter versprochen», sagt er. Doch passiert sei dann nichts. «Non siamo in Svizzera qui», lacht er. Schliesslich hat er die Geduld verloren und die Bretter und Pfosten für die Infotafeln eigenhändig zu den höchsten Punkten der Wanderung auf über 800 Meter über Meer geschleppt. Inzwischen hat Michele das Werk beendet; die Traversata ist fast so gut zu finden wie der Planetenweg auf dem Uetliberg.

Ein privates Mausoleum mitten im Wald

Startpunkt ist das Fischerdorf Cavo, das wir bereits bei der Anfahrt von der Fähre aus gesehen haben. Nach wenigen Schritten auf der Hauptstrasse und gestärkt vom Cappuccino und dem Brioche aus der Hafenbar, biegen wir an den letzten Gärten von Cavo vorbei ab in die Abgeschiedenheit. Der Weg steigt sanft an, die Geräusche der Küstenstrasse werden leiser, zu hören sind dafür die ­Vögel, die durch den Steineichenwald flattern.

Nach einer halben Stunde führt uns Michele auf einen Trampelpfad, und nach wenigen Metern stehen wir vor einem seltsamen, 15 Meter hohen Bauwerk – einer Mischung aus Freiheitsstatue und Leuchtturm. Es ist ein Mausoleum, das Ugo Ubaldo Tonietti vor über hundert Jahren für seine Familie in den Wald gestellt hatte. Die Toni­ettis hatten es in jener Zeit mit Eisenerzabbau zu Ansehen und Reichtum gebracht. Doch an ihrem privaten Mausoleum konnten sie sich nicht richtig freuen, denn die Inselverwaltung hat ihnen die Friedhofskonzession nie erteilt. So ist der Turm mit den Eulen- und Löwenköpfen, den Bullaugen und den Schiffsbugen unvollendet geblieben. Und heute wird er immer mehr von Unkraut überwuchert.

Das Mausoleum Tonietti. Foto: Shutterstock

Nach der Besichtigung kehren wir zurück auf die GTE. Rot-weiss leuchten Micheles Zeichen an den Steinen, und der Weg wird schmaler und schmaler, bis wir die Äste der Bäume zur Seite schieben müssen. Der Wegrand ist aufgewühlt von den Cinghiali, den Wildschweinen, die ihre Eichelsuche eingestellt haben und irgendwo im Dickicht warten. Mittlerweile haben wir unsere Jacken auf den Rucksack gebunden, und von der Stirn tropfen Schweissperlen.

Nach gut zwei Stunden stehen wir auf dem ersten Gipfel, auf dem 344 Meter hohen Monte Grosso. Hier tut sich das Herz auf. Vor uns liegt der ganze Wal, links und rechts das azurblaue Meer, Italien durch und durch. Der Weg ist ruppig geworden, rötliche Gesteinsbrocken sind zu übersteigen. Michele klärt uns auf: Der erste Tag gilt auf der GTE als der «Giorno rosso», der zweite als der «Giorno verde» und der dritte ist der ­«Giorno grigio». Rot wegen des eisenerzhaltigen Erdreiches, grün, weil im tiefer liegenden Mittelteil der Insel das Grün der Wiesen und Rebberge dominiert, und grau, weil im ältesten und wildesten Teil Elbas Granit vorherrscht.

Die einzige Gaststätte serviert Geisskäse

Nach dem Monte Grosso folgt ­jener Teil des GTE, wo unsere Fitness am meisten auf die Probe gestellt wird. Auf dem breiten Berggrat geht der Weg erst hinunter, dann wieder hinauf, dann wieder hinunter, bis wir auf dem Cima del Monte ankommen, mit 544 Metern der höchste Punkt im Osten Elbas. Der Giorno rosso endet in der einzigen Gaststätte an der GTE: Terra e Cuore ist eine Alp, auf der ein paar geschäftstüchtige Aussteigerinnen und Aussteiger Geisskäse herstellen. Diesen servieren sie mit Honig und Apfelkompott. Dank des herrlichen Ausblicks über die Südküste und angesichts des leeren Magens schmeckt der Geisskäse nach sechsstündigem Fussmarsch himmlisch.

Auch der Giorno verde hält, was Michele versprochen hat. Das saftige Frühlingsgrün am Wegrand macht auch einen längeren Abschnitt auf einer alten Militärstrasse abwechslungsreich. Und Micheles Plaketten führen uns sicher am Abgrund des Steinbruchs und an der einzigen Wasserstelle der GTE vorbei. Ohne Micheles Hinweis hätten wir sie kaum gefunden. Es ist ein unscheinbarer Gartenschlauch, aus dem frisches Quellwasser in eine Röhre sprudelt.

Das ersehnte Ziel: Pomonte. Foto: Alamy

Der Giorno grigio ist dann das würdige Finale. Erst steil bergauf durch Liguster und Rosmarin- und Heidelbeerbüsche, dann quer über Granitgeröllhalden bis zum höchsten Punkt der GTE. Auf dem Sattel am Fusse des Monte Capanne, dem höchsten elbanischen Berg (1019m ü. M.), sehen wir zwischen blühenden Macchie-Sträuchern zum ersten Mal unser Ziel: das ­Fischerdorf Pomonte. Aber Achtung, was nahe scheint, ist noch schweisstreibende Kilometer entfernt. Doch die GTE bleibt auch beim längsten Abstieg ein Fernwanderweg für anspruchsvolle Einsteiger, wie wir es sind: Hier schmilzt der Alltags­bettel auf ein Nichts zusammen.

Sie fragen sich vielleicht, wie man auf der GTE übernachtet, wenn man es nicht mit dem Zelt in freier Natur versuchen will. Es bleibt nur der Abstieg in die Zivilisation nach Rio, Porto Azzurro, Procchio oder auch nach Lacona auf den Campingplatz Valle Santa Maria, wo Michele Cervellino arbeitet. Sein Schwager Gabriele Rotellini, ein selbstloser Elba-Promotor, vermietet dort direkt an einem breiten Sandstrand Mobilhomes und natürlich Stellplätze fürs Zelt. Wer gerne ein paar ­Worte auf Deutsch wechseln möchte, geht am Abend ins Barbados, wo Gabrieles Frau, die fröhliche Jeanette Otz aus Pforzheim, am Tresen steht.

Die Reise wurde unterstützt durch B&B-Travel in Zürich

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Dieser Text stammt aus der aktuellen Ausgabe. Jetzt alle Artikel im E-Paper der SonntagsZeitung lesen: App für iOS – App für Android – Web-App