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Trinkwasserbedarf steigt Alle wollen den Bodensee anzapfen – jetzt auch Bayern

Ein kleiner Fleck Bayern am Ufer eines der grössten Trinkwasserreservoire Europas: Das Städtchen Lindau.

Oben auf dem Sipplinger Berg schiesst das Bodenseewasser gewaltig aus dicken Rohren und rauscht durch das sogenannte Quellbecken – 4000 Liter in der Sekunde. In den nächsten vier Stunden wird aus diesem Seewasser hier, in einer weit über den Hügel gespannten Anlage, keimfreies, klares Trinkwasser.

Die Wassermassen, 370 Meter tiefer unten im Überlinger Arm des Bodensees gefasst, werden in riesigen Trommeln erst haarfein gesiebt, dann mit Ozon versetzt, schliesslich in gewaltigen Becken durch Schichten von Anthrazitkohle, Quarzsand und Kies filtriert.

Aus dem Reservoir, das 38 Millionen Liter fasst, fliesst das aufbereitete Trinkwasser schliesslich durch meterdicke Fernleitungen tagelang nach Norden: 100 und mehr Kilometer Richtung Stuttgart und nördliches Baden-Württemberg.

4000 Liter in der Sekunde: Das Quellbecken, in dem auf dem Sipplinger Berg das Wasser aus dem Bodensee in der Aufbereitungsanlage ankommt.

In Zeiten des Klimawandels werde Wasser «wertvoller als Öl», sagt Markus Söder, der bayerische Ministerpräsident. Sein Umweltminister Thorsten Glauber spricht sogar vom «blauen Gold», wie wenn Bayern Wüstenland wäre. Beide Politiker haben zuletzt ein Auge auf den Bodensee geworfen. Obwohl Bayern bei Lindau nur wenige Kilometer an den See reicht, meint Söder, der Bodensee sei zweifellos «auch bayerisch», auf jeden Fall «auch unser Gewässer».

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Glauber ist derzeit daran, die Wasserversorgung des grössten deutschen Bundeslandes für die Zukunft zu sichern. Sein Ministerium entwickelt grosse Pläne: Neben neuen Talsperren oder einer neuen Fassung im Lech-Donau-Gebiet sieht eine Option auch die erstmalige Nutzung von Bodenseewasser in grossem Stil vor.

Bis zu 50 Millionen Kubikmeter Trinkwasser im Jahr könnte Bayern fördern und über neue Fernleitungen in seinen trockenen Norden bringen. Zur Verteilung könnte das bestehende regionale Spinnennetz ausgebaut und mit den Fernleitungen verbunden werden. Von bis zu 900 Kilometern neuen Leitungen berichtete der Bayerische Rundfunk, von 4 bis 5 Milliarden Euro Investitionen Minister Glauber.

Bayern ist bewusst geworden, dass sein Norden zunehmend austrocknet. Betroffen sind vor allem Franken und die Oberpfalz, wo 5,2 Millionen Menschen leben. Manche Landstriche dort seien heute so niederschlagsarm wie Berggebiete in Jordanien oder Israel, sagt Glauber. Ein einst wasserreiches Land entwickle sich in der Klimakrise schleichend Richtung Wassernotstand, meinen Fachleute. Seit dem Jahr 2000 habe Deutschland Wasser im Volumen des Bodensees verloren und Bayern ein Fünftel seines Grundwassers – aus dem es 85 Prozent seines Trinkwassers gewinnt.

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Dass Bayern in der Not nun auch den Bodensee anzapfen will, hat einige Anrainer aufgeschreckt, insbesondere den grossen deutschen Nachbarn Baden-Württemberg. «Trinken die Bayern bald unseren Bodensee leer?», titelte der «Schwarzwälder Bote». Wasserversorger wiederum riefen CSU-Chef Söder und Winfried Kretschmann, den grünen Ministerpräsidenten in Stuttgart, zur engeren Zusammenarbeit auf.

Die Frage, wem der Bodensee und sein Wasser eigentlich gehören, ist leicht beantwortet: Deutschland, der Schweiz und Österreich gemeinsam. Wie Wasser entnommen werden darf, bestimmen die Internationale Gewässerschutzkommission für den Bodensee (IGKB), in der alle Anrainer vertreten sind, und ein Staatsvertrag von 1966. Wer immer etwas daran ändern will, muss viel verhandeln. (Mehr dazu: Hitze und Trockenheit – Geht der Schweiz das Wasser aus?)

Baden-Württemberg vertraut ganz auf Bodenseewasser

Obwohl die Stadt St. Gallen ganz und der Thurgau zu 40 Prozent von Trinkwasser aus dem Bodensee abhängen, ist dieses für keinen Anrainer wichtiger als für Baden-Württemberg. Vom Bodensee über die 630’000-Einwohner-Stadt Stuttgart und Heilbronn bis auf die Höhe von Mannheim werden 320 Städte und Gemeinden mit insgesamt 4 Millionen Menschen aus einem der grössten natürlichen Wasserreservoire Europas versorgt.

1700 Kilometer lang ist das fein verzweigte Fernleitungssystem, das auf dem Sipplinger Berg seinen Anfang nimmt. Drei Viertel allen Wassers, das aus dem Bodensee entnommen wird, fliesst durch diese Rohre nach Baden-Württemberg – 130 Millionen Kubikmeter jedes Jahr. Erlaubt wären dem zuständigen Zweckverband sogar 245 Millionen Kubikmeter.

«Das Wasserreservoir des Bodensees ist einfach riesig»: Stuttgarts Oberbürgermeister Frank Nopper (CDU), derzeit auch Vorsitzender der Bodensee-Wasserversorgung.

Frank Nopper, der christdemokratische Oberbürgermeister von Stuttgart, steht dem Zweckverband Bodensee-Wasserversorgung (BWV) derzeit vor. Zum Gespräch mit dem Schweizer Journalisten hat er BWV-Geschäftsführer Christoph Jeromin dazugebeten, der alles über die Wassergewinnung am Bodensee weiss.

Wie sie die bayerischen Pläne sehen? «Wir sind Bayern mit Sympathie verbunden», sagt Nopper, «in dieser Frage wie auch in vielen anderen.» Für den zusätzlichen Bedarf habe man Verständnis. Wasserverbundlösungen mit Bayern könne man sich in Baden-Württemberg gut vorstellen, insbesondere für Notzeiten. Der Klimawandel bringe neue Herausforderungen mit sich und lege nahe, die Wasserversorgung grossräumiger zu denken – und nicht nur für die nächsten fünf Jahre, sondern bis 2050 oder gar 2100.

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Jeromin gibt zu bedenken, dass man natürlich über Mengen sprechen müsse, wenn es um Bodenseewasser gehe. Rede man von 50 Millionen Kubikmeter im Jahr, liesse sich dieses Volumen jedenfalls nicht zusätzlich über die baden-württembergischen Fernleitungen transportieren. Dazu fehlte die Kapazität – selbst wenn man selbst daran sei, mit Milliardensummen die Wasserentnahme und -aufbereitung sowie das Verteilnetz zu erneuern und auszubauen.

Wie Bayern will auch Baden-Württemberg künftig mehr Wasser aus dem Bodensee abpumpen, nicht weniger. Am mittleren Neckar oder in Heilbronn etwa ist es mittlerweile so trocken wie im bayerischen Franken. Man habe der Gewässerschutzkommission bereits vor einigen Jahren einen möglichen Mehrbedarf von rund 50 Prozent signalisiert, sagt Jeromin – das wäre weit mehr als die Menge, die Bayern neu abpumpen möchte.

Die Trinkwasseraufbereitungsanlage auf dem Sipplinger Berg, unten das Städtchen Sipplingen und der Überlinger Arm des Bodensees, am Horizont der Untersee mit dem Schweizer Ufer.

Aber gibt es im Bodensee denn überhaupt genug Wasser für alle? Jeromin beruhigt: Im Vergleich zum gesamten Wasserhaushalt seien die Entnahmen bisher winzig: 1 bis 2 Prozent der Mengen, die allein der Alpenrhein Tag für Tag bringe. Zum Vergleich: Durchschnittlich verdunstet im Jahr doppelt so viel Wasser von der Oberfläche des Sees, wie die Anrainer abpumpen.

Die Entnahmen senken den Wasserspiegel um 1 bis 2 Zentimeter, saisonal schwankt der Pegel im langjährigen Schnitt aber um 100 Zentimeter. «Bilanztechnisch spielen die Entnahmen sozusagen keine Rolle», meint Jeromin. «Das Wasserreservoir des Bodensees ist einfach riesig», freut sich Nopper. Die Prognosen zeigten, ergänzt Jeromin, dass der Bodensee auch noch genug Wasser haben werde, sollten die Schweizer Gletscher mal alle abgeschmolzen sein.

Doch das Thema ist sensibel. Als im Hitzesommer 2022 der Spiegel des Bodensees so tief lag, dass die Ufer weit zurücktraten und manche Häfen nicht mehr angefahren werden konnten, schreckte das die Menschen auf. Der wachsende Durst von Bayern und Baden-Württemberg könnte die Ängste verstärken. Auch aus der Schweiz hört Jeromin, dass man künftig mehr Wasser aus dem Bodensee brauchen werde.

In der Schweiz gibt man sich gelassen – noch

Erkundigt man sich in St. Gallen, Frauenfeld und Bern bei den Verantwortlichen, wird das nur in allgemeiner Weise bestätigt. Die Klimaerwärmung erhöhe grundsätzlich den Bedarf, auch auf dieser Seite des Sees, heisst es. Sorgen, dass es mit Bayern zu einem Kampf um Kontingente kommen könnte, macht man sich in der Schweiz nicht. Man gibt sich gelassen. Die Regionale Wasserversorgung St. Gallen etwa braucht aber auch nur 9 Millionen Kubikmeter im Jahr, ein Fünfzehntel der Menge, die allein Baden-Württemberg abpumpt.

Jörg Hohl, der in St. Gallen für die Versorgung mit Bodenseewasser zuständig ist, meint am Telefon, die eigenen Kontingente würden wahrscheinlich noch lange reichen, selbst bei mehr Bedarf. Man habe in der Vergangenheit grosszügig gerechnet, das zahle sich jetzt aus. Über Bayerns Pläne habe er unter Schweizer Wasserversorgern nichts Negatives gehört. «Alle begreifen, dass Bodenseewasser für sie eine Lösung sein kann.»

«Das ist die falsche Botschaft»: Christine Margraf vom Bund Naturschutz sieht die geplanten Fernleitungen kritisch.

Kritik gibt es dafür von bayerischen Umweltschützern. Christine Margraf ist in München Wasserexpertin für den Bund Naturschutz und erzählt in ihrem Büro, warum sie die möglichen Fernleitungen zum Bodensee «sehr kritisch» sieht: Der technische Aufwand wäre riesig, das Projekt immens teuer und erst in Jahren oder Jahrzehnten umsetzbar. «Dort, wo das Wasser hinsoll, würde es erst mal nichts am Problem ändern.»

Es sei typisch, dass konservative Politiker wie Söder und Glauber bei zunehmender Trockenheit erst mal an technische Lösungen dächten, aber nicht an das Nächstliegende: dass man Wasser sparen und alles tun müsse, um dieses länger in der Landschaft zu halten, als es möglichst schnell abzuleiten. «Das wäre wichtiger, als Wasser vom Bodensee quer durch ganz Bayern zu karren.»

Fernleitungen signalisierten, dass es auch ohne neue Politik vor Ort gehe. «Das ist die falsche Botschaft.» Der Bodensee wiederum werde im Zuge der Klimakrise selbst zunehmend unter Druck geraten. Da sollte man ihn eher schonen als zusätzlich belasten.

Bayern ist eines der letzten deutschen Bundesländer, in denen die private oder kommerzielle Entnahme von Grundwasser nichts kostet. Die Regierung hat versprochen, nun ebenfalls einen «Wassercent» einzuführen. Margraf findet das überfällig, um Sparsamkeit zu belohnen. «Grundwasser und Trinkwasser sieht man nicht», deswegen sei es schwerer, dafür ein Bewusstsein zu schaffen, als wenn Bäche oder Flüsse auf einmal kaum noch Wasser führten.

«Wir wollen niemandem etwas wegnehmen, niemanden überfordern»: Der bayerische Umweltminister Thorsten Glauber (Freie Wähler).

Besucht man Thorsten Glauber in seinem Münchner Umweltministerium, gewinnt man den Eindruck, der Politiker der Freien Wähler habe alle Einwände gegen sein Bodensee-Projekt vollzählig mitbekommen. Seinem Schweizer Gast erklärt er jedenfalls in vielen Farben und Tönen, warum niemand vor dem Durst der Bayern Angst haben müsse und die Fernleitung vom Bodensee nur eine Option unter vielen sei.

«Wir wollen niemandem etwas wegnehmen, niemanden überfordern.» Und was den Bodensee angehe, müsse man sowieso alles unter Nachbarn besprechen. Anders als die Umweltschützer meinten, habe Bayerns Regierung sehr wohl begriffen, dass die Sanierung des Wasserhaushalts nicht mit Fernleitungen, sondern vor Ort beginnen müsse: indem das Wasser besser in der Landschaft gehalten werde. Auch der Wassercent, an dessen konkreter Ausgestaltung er gerade arbeite, signalisiere, dass Wasser zu einem zunehmend knappen Gemeingut werde, mit dem man sorgsam umgehen müsse.

Anders als Baden-Württemberg, das schon vor Jahrzehnten auf Bodenseewasser gesetzt habe, sei man in Bayern bisher ganz gut ohne ausgekommen. Mit dem Klimawandel würden die Herausforderungen aber grösser. Jede Massnahme, die das System stärke, stütze auch den gesamten Wasserhaushalt. «Da kann der Bodensee eine zusätzliche Stütze sein.»

Die Verhandlungen können sehr kompliziert werden

Ob die Fernleitungen vom Bodensee Teil des neuen bayerischen Versorgungskonzepts werden und von der Idee zum milliardenschweren Plan reifen, wird sich voraussichtlich diesen Spätsommer entscheiden. Über einen formellen Antrag, Millionen von Kubikmetern Bodenseewasser neu abzupumpen, begännen dann die Verhandlungen zwischen den Anrainern und in der Internationalen Gewässerschutzkommission.

Fachleute warnen, dass diese Gespräche langwieriger und komplizierter werden könnten, als man sich das in München vorstellt. Da die bestehenden Kontingente bisher aber nur zur Hälfte ausgeschöpft werden, gibt es selbst im Rahmen des geltenden Staatsvertrags durchaus Spielraum. Am Ende müssen sowieso alle am Bodensee die Verteilung für gerecht halten, Süddeutsche, Ostschweizer und Vorarlberger.

«Wir haben das Glück, dass wir Anrainer wirklich an einem Schatz leben», sagte Christoph Jeromin dem Schweizer Reporter in Stuttgart. Der Schatz des Bodensees verpflichtet aber auch – mehr denn je.

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