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Was wir lesen: Virgina Woolfs «Ein Zimmer für sich allein»Was braucht eine Frau, um frei denken zu können?

Vor kurzem sah ich im Tram eine Werbung für Schnarchtherapie. Früher hätte ich das Plakat nicht weiter beachtet, doch weil ich gerade Virginia Woolfs «Ein Zimmer für sich allein» zu Ende gelesen hatte, erschien mir jede Anti-Schnarch-Massnahme als Gefahr für die weibliche Emanzipation.

Und das hat folgenden Grund: Woolf beschäftigt sich in diesem Essay mit der Frage, was eine Frau braucht, um Literatur schaffen, ja überhaupt: um frei denken zu können. Auf der Suche nach einer Antwort geht die britische Autorin dem weiblichen Schreiben der vergangenen Jahrhunderte nach, sie sucht in Bibliotheken die wenigen Bücher, die von Frauen veröffentlicht wurden, und findet die vielen Bücher, die Männer über Frauen geschrieben haben.

Doch ständig wird sie in ihrer Recherche unterbrochen – von Männern, die ihr sagen, dass sie nicht auf den Rasen der Universität treten darf oder nicht in die Bibliothek gehört. Als sie dann allein in einem Café sitzt und ihr Mittagessen zahlt – entspannt, denn wegen einer Erbschaft ist ihr Überleben gesichert –, wird ihr klar, was sie und was jede Frau für ein unabhängiges und ungestörtes Denken nötig hat: ein festes Einkommen und ein eigenes «Zimmer mit einem Schloss an der Tür».

Eine einfache und doch revolutionäre Erkenntnis, denn auch knapp hundert Jahre, nachdem Woolf diese Worte schrieb, kenne ich kaum eine Frau in einer heterosexuellen (Wohn-)Partnerschaft, die ein Zimmer für sich allein hat – und das liegt nicht nur an den hohen Mietpreisen. Noch immer scheint es fast frech, wenn eine Frau (insbesondere eine Ehefrau) ihr eigenes Zimmer will. Mit einer Ausnahme: wenn der Mann schnarcht.

Und damit wären wir wieder bei der Tramwerbung. Natürlich kann jeder (und jede), die nicht mehr schnarchen will, sich therapieren lassen. Die Frauen aber sollen trotzdem ihre Zimmer bekommen.

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