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Hilfe im Nahostkonflikt«Helvetischer Kompromiss»: Schweiz soll doch wieder Geld an die UNRWA bezahlen

Laurent Wehrli (FDP) und Sibel Arslan (Grüne) kommentieren den Entscheid der Aussenpolitischen Kommission zur UNRWA.

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Vor einer Woche sah noch alles anders aus. Zwar entlastete ein Untersuchungsbericht das UNO-Palästinenserhilfswerk UNRWA teilweise. Doch die Mehrheit der Aussenpolitischen Kommission des Nationalrats (APK) sprach sich dafür aus, der UNRWA keinen Rappen mehr zu überweisen

Am Dienstag folgte nun die Kehrtwende: Die APK empfiehlt dem Bundesrat, dass die UNRWA doch wieder Geld von der Schweiz erhalten soll. Das gaben der Präsident der APK des Nationalrats, Laurent Wehrli (FDP), und Vizepräsidentin Sibel Arslan (Grüne) bekannt. Die APK stellt dazu eine klare Bedingung: Die Mittel sollen ausschliesslich in die humanitäre Hilfe in Gaza fliessen, nicht etwa zu palästinensischen Geflüchteten in Jordanien oder Syrien. Das müsse die UNRWA garantieren. Wehrli sagt: «Die UNRWA muss wissen, wo ihr Geld hingeht.» 

Letztes Jahr betrug der Schweizer Beitrag für die UNRWA 20 Millionen, damit war sie unter den zehn wichtigsten Geldgebern des Hilfswerks. Wehrli erklärt, der Bundesrat solle nun selbst entscheiden, welcher Betrag nötig sei, um die dringendsten humanitären Bedürfnisse in Gaza zu befriedigen. «Das könnten sechs oder sieben Millionen sein, genau kann ich das nicht beziffern.»

Mittelfristig kein Geld mehr für die UNRWA

Vizepräsidentin Arslan betonte, die Kommission habe mehrere Akteure angehört. Eine Mehrheit kam zum Schluss: «Es gibt derzeit einfach keine andere Organisation, welche die Aufgaben der UNRWA übernehmen könnte.»

Die Bürgerlichen haben in der Kommission eine Mehrheit. Sie stimmten aber nicht geschlossen. Sowohl bei der FDP als auch bei der Mitte gab es vereinzelte Abweichler, die den Antrag von links unterstützten, einen Teil des Geldes zur Freigabe zu empfehlen. Das bestätigen zwei unabhängige Quellen.

«Wir wollten einen helvetischen Kompromiss»: Kommissionspräsident Laurent Wehrli (rechts) und Vizepräsidentin Sibel Arslan am Dienstag in Bern.

Gleichzeitig hat die APK am Dienstag aber auch einen Vorstoss verabschiedet, der sicherstellen soll, dass die UNRWA mittelfristig kein Geld mehr direkt von der Schweiz erhält. Stattdessen sollen Essen und Medikamente möglichst direkt an die Zivilbevölkerung gelangen. Vertraut die Schweiz der UNRWA nun – oder nicht? 

Wehrli erklärt die unterschiedlichen Entscheide so: «Wir wollten einen helvetischen Kompromiss.» Die Not in Gaza müsse gelindert werden. Aber gleichzeitig solle die Schweiz nicht einfach unkritisch dazu beitragen, dass die UNRWA weiter so wie heute funktionieren könne.  

Schweizer UNRWA-Chef warnt

Während Wehrli und Arslan im Bundeshaus vor die Medien traten, hatte Philippe Lazzarini in Genf einen Auftritt. Der Schweizer Chef des Palästinenserhilfswerk sagte im Palais des Nations in Genf, die Bevölkerung in Gaza leide unter einer «ständigen traumatischen Belastungsstörung». Lazzarini sprach auch von einer «guten Nachricht»: Die meisten Länder hätten ihre blockierten Zahlungen wieder überwiesen. 

Vom «helvetischen Kompromiss» ist Lazzarini hingegen wenig begeistert, wie er zu dieser Redaktion sagt. «Die Kommission müsste zuerst definieren, was sie unter humanitärer Hilfe versteht. Reden wir nur über Lebensmittel? Über Medizin? Oder auch Bildung in der Not?» Zwar sei in der jetzigen Kriegssituation nicht an normalen Schulunterricht zu denken. Bildung aber komplett auszuklammern, findet Lazzarini «fatal».

UNRWA-Chef Philippe Lazzarini trat am Dienstag in Genf vor die Medien.

«Eine halbe Million Mädchen und Jungen im Grund- und Sekundarschulalter leben zurzeit in den Trümmern und sind schwer traumatisiert. Je länger wir damit warten, ihnen wieder eine formelle Bildung zu ermöglichen, desto mehr säen wir die Saat für zukünftigen Groll und Hass.» Die Bildung gehöre zu den wichtigsten Prioritäten, sobald es zu einem Waffenstillstand komme. Die Antisemitismusvorwürfe an den UNRWA-Schulen nehme man ernst. «Wir sind bereit, mehr für die Neutralität zu tun», sagt Lazzarini. Man wolle die Empfehlungen des Colonna-Berichts umsetzen.

Erstes Treffen mit Cassis seit Kriegsausbruch

Besonders zu denken gibt Lazzarini die Forderung der Kommission, die UNRWA langfristig nicht mehr direkt zu unterstützen. Er sieht seine Organisation in einer wichtigen Rolle für eine künftige Zweistaatenlösung. «Für die Schweiz wäre es wichtig, weiterhin als Land wahrgenommen zu werden, das seine Guten Dienste fördert und seine humanitäre Tradition pflegt.» Stelle sie ihre Unterstützung ein, «wird dies in der arabischen Welt und darüber hinaus nicht als unparteiische und neutrale Haltung der Schweiz wahrgenommen werden». 

Lazzarini will schnellstmöglich an den Bundesrat appellieren, die UNRWA auch zukünftig zu unterstützen. «Ich treffe am Mittwoch Aussenminister Ignazio Cassis – zum ersten Mal seit Kriegsausbruch», erklärt Lazzarini.

Zweite Untersuchung steht noch aus

Der Bundesrat entschied letzte Woche, den Schweizer Beitrag für die UNRWA weiter zurückzuhalten. Die Regierung will warten, bis die Resultate einer weiteren Untersuchung über die Organisation veröffentlicht werden. Diese soll prüfen, ob Mitarbeitende der UNRWA direkt am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt waren. Kürzlich erschien der erste Bericht, verfasst von der ehemaligen französischen Aussenministerin Catherine Colonna. Dieser zeigte erneut, dass die UNRWA politisch Schlagseite hat und an ihren Schulen teilweise israelfeindliche Inhalte verbreitet wurden. Israel legte aber noch keine Beweise gegen einzelne UNRWA-Mitarbeitende vor.

Colonna stellte mehrfach klar, dass sie nicht damit beauftragt wurde, zu untersuchen, ob Mitarbeitende der UNRWA direkt am Hamas-Massaker vom 7. Oktober beteiligt waren. Diesen Vorwurf soll eine zweite Untersuchung prüfen, die von der internen Aufsicht der UNO in Angriff genommen wurde. Wann Ergebnisse vorliegen werden, ist unklar.

Die von der UNRWA betriebene Scheich-Radwan-Klinik wurde während der israelischen Bombardierung von Gaza-Stadt zerstört.

APK-Präsident Wehrli empfiehlt dem Bundesrat nun, «nicht alle Antworten zur UNRWA abzuwarten». Denn er sagt: «Sogar Israel anerkennt, dass die UNRWA eine spezielle Rolle bei der Verteilung humanitärer Hilfe in Gaza spielt.»

Als Nächstes muss sich die APK des Ständerats kommende Woche zum Thema äussern. Danach folgt ein Antrag des Bundesrats. Bevor das Geld aber an die UNRWA ausbezahlt werden könnte, müssten erneut die beiden Kommissionen darüber befinden, wie es beim EDA heisst. Der «helvetische Kompromiss» braucht Zeit.