Ihr Browser ist veraltet. Bitte aktualisieren Sie Ihren Browser auf die neueste Version, oder wechseln Sie auf einen anderen Browser wie ChromeSafariFirefox oder Edge um Sicherheitslücken zu vermeiden und eine bestmögliche Performance zu gewährleisten.

Zum Hauptinhalt springen

Der Papst im IrakDie Kirchen sind noch da, doch die Gläubigen fehlen

Der Papst prangt auf Betonmauern, die zum Schutz gegen Anschläge errichtet wurden: Wandgemälde in Bagdad.

Der Klang der Glocken war das Zeichen der Befreiung. Nach 26 Monaten Herrschaft der Terrormiliz Islamischer Staat (IS) läuteten sie wieder in Bartella; es war der 22. Oktober 2016. Ein Soldat zog auf dem Kirchturm das Seil, das irakische Staatsfernsehen übertrug die Szene: ein Zeichen des Sieges – aber zurück blieb Zerstörung. Die Djihadisten hatten die Kreuze der assyrischen Matthäuskirche heruntergerissen, den Heiligenfiguren die Köpfe abgeschlagen. Die Liederbücher lagen zerfleddert zwischen den hölzernen Bänken, der Altarraum war schwarz von Russ, der Friedhof geschändet.

Etwas mehr als vier Jahre später ist die Kirche teils wiederhergestellt, doch Bartella ist nicht wieder zu der Stadt geworden, die sie einmal war. Weniger als die Hälfte der christlichen Bewohner seien zurückgekehrt, berichten Mitarbeiter des christlichen Hilfswerks Capni. Die Schlacht gegen den IS sei geschlagen, das Denken der Djihadisten in der Gegend aber immer noch präsent – und viele Täter seien frei. In Bartella tobe zudem weiter eine Schlacht, aber eine leise: Die ebenfalls in der Gegend siedelnde Minderheit der Shabak nutze das Machtvakuum, um immer grössere Teile Bartellas zu übernehmen.

Treffen mit Grossayatollah Ali al-Sistani

Und so wird der Ort, der 2016 symbolträchtig für den ersten Sieg über die Djihadisten stand, unbeachtet bleiben, wenn der Papst zu seinem symbolträchtigen Besuch in den Irak kommt: Schon bevor die zweite Welle der Corona-Pandemie rollte, hatte der Vatikan angekündigt, dass die nächste Reise Franziskus in das Geburtsland von Urvater Abraham führen werde. Nun aber fährt Franziskus mitten in der Pandemie in den Irak und lässt sich auch von den neusten Raketenangriffen auf Stützpunkte von US-Verbündeten nicht beeindrucken. Er habe sich lange gewünscht, die Menschen in dem Land kennen zu lernen, die so viel gelitten hätten, sagte Franziskus am Mittwoch in Rom bei der Generalaudienz. Er wolle sie nicht enttäuschen.

Und die Euphorie im Land ist gross: In der Hauptstadt Bagdad, in der Franziskus am Freitagmittag landen und von den Spitzenpolitikern des Landes empfangen wird, entstehen Graffiti und Wandgemälde auf Betonmauern, die zum Schutz gegen Anschläge errichtet wurden. In Najaf, dem heiligen Pilgerort der Schiiten, erwartet Grossayatollah Ali al-Sistani den Papst am Samstag, ein Gipfeltreffen der theologischen Schwergewichte. In Ur, dem Geburtsort Abrahams, wird ein Tempel der Sumerer für ein interreligiöses Gebet vorbereitet.

Hier wird Inhalt angezeigt, der zusätzliche Cookies setzt.

An dieser Stelle finden Sie einen ergänzenden externen Inhalt. Falls Sie damit einverstanden sind, dass Cookies von externen Anbietern gesetzt und dadurch personenbezogene Daten an externe Anbieter übermittelt werden, können Sie alle Cookies zulassen und externe Inhalte direkt anzeigen.

Am Sonntag dann wird Franziskus in den Norden reisen. In Arbil, der Hauptstadt der kurdischen Autonomiezone, üben sie seit Tagen, wie eine Messe mit 10’000 Gläubigen in einem 40’000 Menschen fassenden Stadion unter Wahrung von Abstandsregeln ablaufen kann. Die symbolträchtigsten Bilder sind jedoch aus Mosul zu erwarten, der Metropole, deren Altstadt bei der letzten Schlacht gegen den IS fast vollkommen zerstört wurde – und aus einem Städtchen in der Ninive-Ebene, die sich im Osten anschliesst.

Die Gegend war einst das wichtigste Siedlungsgebiet von Christen im biblischen Zweistromland. Hier liegen einige der ältesten Gemeinden, die Wiege des Christentums. Noch vor zwanzig Jahren zählte der Irak 800’000 bis 1,5 Millionen Christen, die vor allem der chaldäisch-katholischen Kirche angehören. Anerkannt sind heute 14 christliche Konfessionen. Schon im Bürgerkrieg nach der US-Invasion 2003 wurden viele von ihnen zum Ziel islamistischer Extremisten – heute ist die Zahl der Christenlaut Schätzungen auf 250’000 bis 300’000 gesunken.

Die Christen wurden vor die Wahl gestellt, zum Islam zu konvertieren, eine Steuer für Nicht-Muslime zu zahlen oder den Tod zu gewärtigen.

Als die Djihadisten des IS im Frühling 2014 den Nordirak und Teile Syriens überrannten, malten sie den arabischen Buchstaben Nun mit Spraydosen auf die Türen der Christen: N wie Nazarener, ein abfällig benutzter Begriff für Christen. Diese wurden vor die Wahl gestellt, zum Islam zu konvertieren, eine Steuer für Nicht-Muslime zu zahlen – oder den Tod zu gewärtigen. Die meisten entschieden sich für die Flucht.

Die Terroristen verwandelten Kirchen in Trainingszentren für Kämpfer, im September 2014 sprengten sie sogar das älteste Kloster im Irak, Sankt Elias, das ein Mönch im sechsten Jahrhundert auf einem Hügel über dem Tigris-Tal gegründet hatte. Sie plünderten Dörfer der Christen und anderer Minderheiten, enteigneten deren Häuser. Im Juli 2014 erklärte der IS die Stadt Mosul für christenfrei – das erste Mal nach 1800 Jahren.

Die Begeisterung ist gross: Bagdad schmückt sich trotz Gewalt für den Empfang des Papstes.

Die meisten Christen des Nordirak retteten sich in die angrenzenden Kurdengebiete. Sie fanden Zuflucht in den Christenvierteln Arbils, viele kehrten dem Irak für immer den Rücken. Denn die Djihadisten taten alles, um ihnen die Rückkehr so schwer wie möglich zu machen. Sie brannten christliche Orte nieder, bevor sie zurückwichen. Und sie mordeten weiter: Allein in Bartella sollen IS-Kämpfer vor dem Abzug 250 Menschen getötet haben. Heute bewachen christliche Milizen teils leer stehenden Orte – in der Hoffnung, frühere Bewohner zur Rückkehr bewegen zu können.

Doch das ist bislang nicht wirklich gelungen. Viele Geflohene trauen dem bleiernen Frieden nicht. Nach Mosul etwa sind 40 bis 50 Familien zurückgekehrt. Wenn der Papst dort am Sonntag auf dem Hosh al-Bieaa für die Opfer des Krieges beten wird, werden beeindruckende Bilder erwartet. Der Platz hat seinen Namen von vier Gotteshäusern, die dort stehen: eine syrisch-katholische Kirche, eine syrisch-orthodoxe, eine armenisch-apostolische und eine chaldäisch-katholische. Bis heute sind die alten Mauern von Spuren des Krieges gezeichnet. Die Wände sind mit Einschusslöchern übersät, jahrhundertealte Gewölbe eingestürzt, Betonbrocken hängen an Bewehrungsstahl. Gleichzeitig zeigen sich hier erste Erfolge des Wiederaufbaus – und so soll der Besuch des Papstes zu einem Beleg der Widerstandskraft der christlichen Gemeinden werden. Doch in keiner der vier Kirchen werden heute regelmässig Gottesdienste gehalten.

Seit Tagen werden die Marmorböden der Kathedralen poliert, Nonnen lackieren schmiedeeiserne Kruzifixe frisch.

Um dennoch eine Wiederauferstehung feiern zu können, wird Franziskus in den Ort Qaraqosh reisen – hier ist die Zahl der Rückkehrer am grössten. Und so könnte die Stadt mit ehemals 50’000 Einwohnern jene Bilder der Hoffnung liefern, die viele irakischen Christen ersehnen. Die Bewohner der Stadt zumindest tun ihr Bestes: Seit Tagen werden die Marmorböden der Kathedralen poliert, Glaskünstler bemalen neue Kirchenfenster, Nonnen klettern auf Sakralbauten, um schmiedeeiserne Kruzifixe frisch zu lackieren. Auch die Strassenarbeiter sind aktiv, pflastern Gehwege neu, errichten Laternen, pflanzen Bäume. Denn um einen Ort wieder lebenswert für seine ehemaligen Bewohner zu machen, braucht es weit mehr als die Symbolik von klingenden Glocken.